DEAE-Fachgruppe Familienbezogene Bildung
Unter erweitertem Diversity-Gesichtspunkt wurden unter anderem beraten: ein Curriculum der Flüchtlingsbegleitung - Rahmenbedingungen für mehr partnerschaftliche Familienpraxis - konkrete Ideen für eine partizipative und sozialräumliche Entwicklung von Kindertageseinrichtungen, Familienzentren und Familienbildungsstätten.
Im Gespräch waren die wissenschaftlichen Disziplinen: Erwachsenenbildung, Vergleichende Erziehungswissenschaft, Migrationsforschung, Soziale Arbeit, Kultur- und Religionswissenschaften sowie Politikwissenschaften; und seitens der Praxis brachten sich ein: Familienbildungsstätten, Erwachsenenbildungswerke, Akademien, Berufliche Aus- und Weiterbildungsstätten, Migrantenselbstorganisationen, Kommunen, Kirchenkreise und Vereine.
In allen Diskussionsrunden war Konsens, dass bei der Planung von Weiterbildungsangeboten möglichst detaillierte Kenntnisse über die Bildungsgewohnheiten und -interessen der jeweiligen Eltern und Familien mit Migrationshintergrund einfließen müssen. Programmplanung ohne Berücksichtigung solches Wissens und ohne eine entsprechende Vernetzung erreicht diese Familien nicht an oder wirkt paternalistisch. In Anbetracht der sozioökonomischen und kulturellen Heterogenität von Familien mit Migrationshintergrund ist der Typus ‚Familien mit Migrationshintergrund‘ einerseits zu pauschal für konkrete Programmplanungen, anderseits ist er zugleich zu eng, da am besten nicht allein Familien mit Migrationshintergrund, sondern auch einheimische Familien mit einem milieuspezifischen Ansatz zu interessieren sind.
Es sind nicht nur spezifische Gruppenangebote, sondern auch alle anderen bestehenden Angebote für unterschiedliche Zielgruppen zu öffnen. Aus der jeweiligen nationalen Herkunft lässt sich jedenfalls nicht pauschal ableiten, wo zwischen Eltern Gemeinsamkeiten bestehen und wo sich Unterschiede auftun. Ob mit oder ohne Migrationshintergrund, was Familienkultur jeweils ausmacht, ist aus vielerlei guten Gründen bunt zusammengesetzt. Daher erfordert vor allem die Planung von Gruppenangeboten für bestimmte Milieus von Eltern oder Großeltern eine Sensibilität für Familienkulturen quer zu ihrer nationalen Herkunft, Differenzierungen von Eltern und Großeltern unterhalb der groben Unterscheidung: ‚mit oder ohne Migrationshintergrund‘.
Zur Anbahnung von Programmentwicklungen oder Organisationsentwicklung lohnt es sich, mehr in sogenannte ‚niedrigschwellige Geh-Strukturen‘ zu investieren. Ohne einen Zugang zu den Communities von Migrantinnen und Migranten, ohne dort Schlüsselpersonen zu kennen, werden auch noch so fundierte Konzepte nichts nutzen. Erst wenn Schlüsselpersonen zunächst für Raumnutzungen und dann vielleicht für offene Angebote werben, kann sich daraus mit der Zeit auch eine Chance zur Entwicklung von regulären Angeboten ergeben. Offene Angebote sind keine Konkurrenz zu regulären Angeboten, sukzessive können sich aus Geh-Strukturen, lose Komm-Strukturen und schließlich auch reguläre Angebotsstrukturen entwickeln. So kann auch das traditionelle Konzept der ‚Eltern-Kind-Gruppe‘ für Familien (auch für Väter) mit Migrationshintergrund funktionieren, wenn es nur derart sozialraumbezogen angebahnt und kostenlos angeboten wird.
Bei der Aktivierung von Schlüsselpersonen darf man nur nicht stehen bleiben, langfristig ist an einem mehrsprachigen, internationalen und kultursensiblen Fachkräftenachwuchs zu arbeiten. Diese Organisationsentwicklung beginnt bereits damit, dass Schlüsselpersonen nicht nur als Türöffner benutzt werden, sondern ihnen praktisch Wertschätzung entgegengebracht wird – mittels Qualifizierung und Honorar.
Die aktuelle Flüchtlingssituation nahm in den Diskussionsrunden natürlich viel Raum ein: Man war sich einig, dass sich jene Fehler nicht wiederholen dürfen, mit denen die Gastarbeitergenerationen und die Gesamtgesellschaft noch heute ringen: Assimilationsversuche sind so kontraproduktiv wie Ignoranzversuche. Menschen mit Fluchtschicksalen lassen sich weder kulturell vereinnahmen, noch werden sie sich einfach segregieren. Es ist beschleunigter zu erlauben, dass sie sich möglichst eigenständig und möglichst verlässlich in den Alltag, das Erwerbsleben und eben auch in die Weiterbildung einbringen. Sie sind in Verantwortung zu bringen und das nicht erst, wenn Deutschkenntnisse vorhanden sind, sondern bereits im Kontrast zu ihren Erfahrungen von Handlungsunfähigkeit, Befristung und Entmündigung durch die Restriktionen des Asylverfahrens. Ein intaktes Familienleben ist unzweifelhaft ein zentraler Faktor für zunehmend mehr Wohlergehen, Orientierung und Beheimatung (deswegen auch geht die Verteilung von Familienmitgliedern über mehrere Bundesländer sowie die errichteten Hürden für den Familiennachzug einher mit zunehmender Frustration, Separierung und Aggression); familienbezogene Erwachsenenbildung setzt an diesem zentralen Punkt an.
In Deutschland finden sich derzeit eine nach wie vor ausgeprägte Hilfsbereitschaft einerseits und hohe Ansprüche gegenüber den Asylsuchenden anderseits, und beides muss sich nicht ausschließen. Viel zu wenig indes fragt man und nutzt man, was Flüchtende mitbringen, welche biographische Dramatik, welchen ‚Überlebenskunst-Habitus‘ sie verkörpern, wie entschlossen sie an eine Zukunft glauben und für sich Perspektiven suchen. Wo erfährt man von den Familien, denen ein Neustart in Deutschland gelungen ist? Werden Erfolgsgeschichten im Weiterbildungsbereich bereits aufgegriffen? Können sie auch einheimischen Eltern und Großeltern eine Orientierung bieten? Es braucht mehr Empowerment, mehr Freiraum und breitere Gesprächssituationen für solche Vorbilder. Nicht länger darf das Gewicht auf Individualbetreuung liegen, schließlich sind auch flüchtende Eltern souverän und wollen wie alle anderen Eltern auch nicht länger als nötig als Betreuungsfälle behandelt werden. Hier steht die Weiterbildung vor dem weiten Feld der Freiwilligenarbeit, denn Freiwillige könnten vor allem als Impulsgeber zwischen Familien und Gemeinschaften wirksam werden (dafür müssten sie aber deutlicher von ihrem teilweise paternalistischen Helfergestus abrücken). Doch auch die professionelle Soziale Arbeit ist angesichts von Familien mit Migrationshintergrund nur bedingt qualifiziert. Weiterbildungsangebote wie die Qualifizierung zur "Elternbegleiterin" sind hier wegweisend.
Kontrovers diskutierten die Teilnehmenden des Symposions über die Erfolgsaussichten von Kooperationen mit Migrantenselbstorganisationen. Da Eltern und Großeltern mit Migrationshintergrund es aus ihrer Tradition kaum kennen, dass Familienbelange öffentlich thematisiert, diskutiert und unterstützt werden, rechnet man mit solchen Angeboten auch nicht, nur wenige Familien haben Erfahrungen damit und entsprechend verbreitet sind Vorbehalte. Die Kooperation mit Migrantenselbstorganisationen (von denen bundesweit circa 20 000 Vereine dafür in Frage kommen, nicht nur unbedingt Moscheen-Vereine) scheint hier ein wichtiger Weg zu sein, Vorbehalte gegenüber familienbezogener Erwachsenenbildung abzubauen und mehr konkrete Anknüpfungspunkte zu finden. Es ist dabei allerdings zu unterscheiden zwischen den vielen kleinen ehrenamtlichen Vereinen, die sich zumeist nur der Sprachpflege widmen, und den semiprofessionellen beziehungsweise professionellen Vereinen mit breitem gemeinnützigem Auftrag. Vor allem das Know-how und die Gesichtspunkte professionell geführter Vereine sind anschlussfähig für Weiterbildungsanbieter. Sie sind aber nicht kostenlos als Brückenköpfe zu neuen Zielgruppen zu nutzen, sondern als ein Gegenüber wie andere in Wohlfahrtverbänden organisierte Kooperationspartner.
Die Förderung von partnerschaftlicher Familienverantwortung wird noch immer weitgehend abgelöst von interkulturellen Aspekten diskutiert, dabei kann die kultursensible Elternbildung auf Genderperspektiven nicht lang verzichten.
Angesichts des aktuellen Getöses um ‚Wertevermittlung‘ empfiehlt sich die familienbezogene Erwachsenenbildung, denn unterschiedliche Nationalitäten und sogar Kontinente verbindet die familiäre Sorge um die kommende Generation sowie die Sorge um ältere Familienmitglieder – die familienbezogene Erwachsenenbildung setzt daher an humanen Gemeinsamkeiten und zugleich an konkreten Alltagsfragen an. Ein derart praktisches und verbindendes Vorgehen schien den Symposions-Teilnehmenden auch über familienbezogene Angebote und Projekte hinaus ein tragfähiger Ansatz zu sein. Es ist dies eine konkrete politische Dimension des Handlungsfeldes, die in den Diskussionsrunden unterstrichen wurde.
In der konkreten konzeptionellen und praktischen Arbeit unterdessen wurde ein großer Entwicklungs- und Forschungsbedarf konstatiert: familienbezogene Erwachsenbildung steht für einen vielversprechenden Ansatz, es fehlt ihr aber an sozialräumlichen Zugängen und Netzwerken, an konzeptioneller Initiative und der dafür notwendigen Personalausstattung. Und umkehrt: je enger das Angebotsspektrum ist, je mehr Familien mit Migrationshintergrund sich von den Angeboten nicht tangiert sehen, umso schwerer auch ist es, die Relevanz und den entsprechenden Finanzrahmen der familienbezogenen Erwachsenenbildung zu sichern oder gar zu erhöhen. Die große Resonanz und die inspirierende Diskussionskultur des DEAE-Symposions zeigten, wie hilfreich ein Austausch über geeignete Konzepte sein kann. Als Zwischenstand wurde festgestellt, dass in diesem Themenkomplex sowohl institutionelle wie auch konzeptionelle Fragestellungen noch weiter zu bearbeiten und entwickeln sind. Deutlich wurde in den Diskussionsrunden auch der breite Forschungsbedarf. Im Dreieck von Migrationsforschung, Familienforschung und Weiterbildungsforschung sind nicht nur Lücken zu verzeichnen, sondern es besteht hier offensichtlich ein ausgeprägtes Forschungsdesiderat. Es lassen sich derzeit nicht einmal länderspezifische Erkenntnisse heranziehen, um zu erhellen, welches familienbezogene Angebotsspektrum bei Eltern und Großeltern mit Migrationshintergrund ankommt. Erst recht gibt es diesbezüglich keine bundesweiten oder international vergleichenden Forschungen. Die Analyse von adäquaten Angeboten beziehungsweise die Kritik an inadäquater Programmplanung ist aber die Voraussetzung für eine mehr als intuitive Konzeptentwicklung. Es gilt zu erforschen, wie die überdurchschnittliche Bildungsaspiration von Familien mit Migrationshintergrund nicht länger enggeführt wird auf die dann oftmals enttäuschend verlaufende institutionelle Bildungslaufbahn der Kinder, sondern vielmehr zur vierte Bildungssäule führt – mit ihren offenen Angeboten, hilfreichen Gruppendynamiken, spannenden offline-Gesprächsformaten, nicht-curricularen Ansätzen.