Fachtagung Schulseelsorge zum Umgang mit kollektiven Krisen

Erfahrungen mit der Covid-19-Pandemie haben das Bewusstsein für kollektive Krisen geschärft. Krisen, die ganze Gesellschaften und somit auch das System Schule und die zu ihm gehörenden Personen- Schüler*innen, Eltern, Lehrer*innen und das nicht-pädagogische Personal - gemeinsam betreffen. Die jüngere Zeit ist zudem gekennzeichnet von einer Überlagerung solcher Krisen. Zu nennen sind neben der Covid-19-Pandemie die Flutkatastrophe im Sommer 2021 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sowie die Klimakrise, die insbesondere von Heranwachsenden zunehmend als bedrohlich wahrgenommen wird. Hinzu kommen systemimmanente Krisenphänomene in Schulen, hervorgerufen u.a. durch Personalengpässe oder durch immer wieder neue politische Rahmenvorgaben.

Wie lässt sich kollektiven Krisen vonseiten der Evangelischen Schulseelsorge begegnen und wie lassen sich Schulen und im schulischen Kontext Beteiligten stärken? Diesen Fragen ging die 8. EKD-weite Fachtagung Evangelische Schulseelsorge unter dem Titel „Geschafft!? – Kreative Wege aus Krisen“ vom 30.03. – 01.04.2022 nach. Hatte man zu Beginn der Planungen gehofft, sich in Wuppertal in Präsenz treffen zu können, fand die Tagung pandemiebedingt online statt. Das eröffnete insbesondere Personen aus der Schulseelsorgepraxis Möglichkeiten der Teilnahme, sodass an drei Tagen mehr als 50 Teilnehmende mit den Referent*innen diskutieren konnten.

Prof. Dr. Harald Karutz, Medical School Hamburg, sprach sich auf dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem bisherigen Krisenmanagement von Politik und Verwaltungen für eine Stärkung der psychosozialen Aspekte im Umgang mit Krisen aus. Es gehe darum, den Fokus auf die betroffenen Menschen zu richten und nicht nur auf ein Funktionieren des „Systems“ Schule. Dabei sei bewusst zu machen, dass Bildung zur Bewältigung von Krisen beitragen kann. Bildung in diesem Sinne gehe es darum, Individuen ebenso in ihrem Umgang mit solchen Krisen zu unterstützen und nicht allein um die Vermittlung von Inhalten zum „Kern“ gezählter Unterrichtsfächer. Strukturell sei zu fragen, ob Schulen als Teil einer kritischen Infrastruktur zu betrachten und somit infrastrukturell und personell zu stärken seien.

Nach diesem auf die Schule als Ganzes gerichteten Blick hatte Prof. Dr. Cornelia Richter, Universität Bonn, in ihrem Vortrag zur Resilienz die/den Einzelnen im Fokus. Im Mittelpunkt ihres Vortrags stand die These, Resilienz sei ein ambivalentes Krisenphänomen par excellence, d.h. sie ist weder eine Eigenschaft, die einen Menschen ausmacht, noch eine Haltung, die ein für alle Mal erworben werden kann. Vielmehr zeige sich Resilienz konkret im Durchleben existenzieller Krisen und sei ein hochkomplexes, prozessuales und nicht verstetigbares Phänomen. Notwendig sei es im Kontext von Schule Ohnmacht, Angst und Sorge gemeinsam auszuhalten und zu gestalten. Prof. Richter stützt sich dabei auf Erkenntnisse aus dem von der DFG geförderten interdisziplinären Forschungsprojekt „Resilienz in Religion und Spiritualität“.

In einem dritten Hauptvortrag von Dr. Joachim Wenzel, Institut für Systemische Familientherapie, Supervision und Organisationsentwicklung in Essen, standen digitale Formen der (Schul-)Seelsorge als niederschwelliges Angebot in Krisen im Mittelpunkt. Formen digitaler Seelsorge haben in der Covid-19-Pandemie an Bedeutung gewonnen. Dr. Wenzel konnte auf reichhaltige Erfahrungen aus der langjährigen Leitung einer Regionalstelle der Telefonseelsorge zurückgreifen. Angebote digitaler Seelsorge reichen hier bis in die 90er Jahre zurück. Wenzel sprach sich für eine Vielfalt sowohl digitaler wie personaler Angebote aus. Solche Angebote müssen sowohl auf der Seite der Anbietenden wie der Seelsorgesuchenden „passend“ sein. Darum sollte es hier eine Vielfalt geben.

Die Vorträge wurden ergänzt durch drei Workshops zu konkreten Formen digital unterstützter Seelsorge („blended Care“), zur Schule als kritischer Infrastruktur und zu Spiritualität und Achtsamkeit.

Vorträge und Workshops werden veröffentlicht in der Reihe „Schnittstelle Schule“. Mit einer Veröffentlichung ist im Herbst dieses Jahres zu rechnen. Hier erhalten Sie einen Überblick zur Tagung.