Ein neues europäisches Format des Austauschs von Wissenschaft und Praxis fand vom 16. bis 18. November 2016 unter dem Titel „Identität und Diversität. Profile evangelischer Schulen in Europa“ zum ersten Mal statt. Zusammen mit dem Internationalen Verband (IV) und der Wissenschaftliche Arbeitsstelle Evangelische Schule (WAES) hat das Comenius-Institut die Studientagung für Schulleiter/innen und Bildungsexperten in Bratislava durchgeführt. Vertreten waren knapp 20 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Kirche und Schulpraxis aus sieben europäischen Ländern. 9 Vorträge wurden in 3 Blöcken vorgetragen und anschließend im Plenum diskutiert. Zudem gab es zu jedem Vortrag eine Reaktion aus der Schulpraxis.
Im ersten Block zum Thema „Identität und Diversität protestantischer Schulen“ stellte Dick den Bakker (Verus, Woerden) Profile protestantischer Schulen in den Niederlanden vor. Er ging von 10 Konzepten aus, welche einen Rahmen für die Schulen bilden, aber auch genügend Raum lassen, ein individuelles Profil herauszubilden. Bertrand Knobel (Campus Muristalden, Bern) gab Einblicke in die Arbeit des Forums Evangelischer Schulen der Schweiz und stellte aktuelle Herausforderungen protestantischer Schulen vor. Darunter fand sich auch die Frage, welches „pädagogische Gesicht“ die Schulen besitzen. Er tritt dafür ein, dass sie ein Ort gelebten Christentums sind, verankert in der protestantischen Kultur. Komplexe Fragen zu Bildung und zum Zusammenleben werden nie abschließend beantwortet werden können, aber es bedarf immer wieder innovativer Ideen, mit diesen Fragen konstruktiv umgehen zu können. Ein weiterer Vortrag kam von OKRin Dr. Birgit Sendler-Koschel (Hannover), der Leiterin der Bildungsabteilung im Kirchenamt der EKD. Sie stellte das Projekt „schools500reformation“ vor und verknüpfte dies mit Gedanken der Öffentlichen Theologie, der zufolge protestantische Akteure Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen sollten.
Am Nachmittag stand dann die Frage „Warum protestantische Schulen gewählt werden“ im Mittelpunkt. Zunächst stellte Prof. Dr. Robert Schelander (Universität Wien) eine Onlineumfrage aus Österreich vor, die sich mit den Gründen von Eltern beschäftigt hat, ihre Kinder auf protestantische Schulen zu schicken. Am meisten wurde von den Eltern die positive Atmosphäre in den Schulen genannt. Zudem war auch die Überzeugung häufig vertreten, dass die Kinder dort gut soziale Umgangsformen lernen. Im Anschluss darauf betrachtete Ruth Schelander-Glaser (Diakonie Bildung, Wien) wie protestantische Schulen mit Fragen der (religiösen) Pluralität der beteiligten Akteure umgehen. Dafür wurden face-to-face Interviews mit Schulleitungen protestantischer Schulen Wiens durchgeführt. Deutlich wurde, dass eine gewisse Spannung zwischen einer konfessionell geprägten Tradition der Schulen und der interreligiösen Zusammensetzung der Schüler-, aber auch der Lehrerschaft besteht. Zumeist wird mehr Rücksicht auf die multireligiöse Situation genommen, als auf enge protestantische Überzeugungen. Der Tag wurde daraufhin mit einem Vortrag von Prof. Dr. Margret Kraul (Universität Göttingen) abgeschlossen, die eine evangelikal ausgerichtete Privatschule in Norddeutschland vorstellte. Auf der Grundlage von triangulären Forschungsmethoden konnte ein umfassendes Portrait erstellt werden. Dies beinhaltete sowohl Perspektiven der Schulleitung, wie der Eltern. So bemüht sich die Schulleitung darum, christlichen Glauben und pädagogische Professionalität in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen und auch schwierige Jugendliche aufzunehmen und zu fördern. Für Eltern steht hingegen insbesondere die “individuelle Wohlfahrtsproduktion”[i] ihrer Kinder im Vordergrund sowie sich in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten zu wissen.
Im letzten Block am folgenden Tag wurden Studien zur „externen und internen Evaluation protestantischer Schulen“ vorgestellt. In der ersten von Sebastian Röhl (Pädagogische Hochschule Freiburg), angelehnt an sein Dissertationsprojekt, werden die Lehrkräfte in den Blick genommen. In einer Umfrage an einer evangelikal geprägten Schule in Süddeutschland wurde ermittelt, dass unter den Lehrer und Lehrerinnen ein großes Gefühl der religiös motivierten „Berufung“ für ihre Arbeit vorhanden ist. Auch konnte nachgewiesen werden, dass in den meisten Fällen dies einen positiven Effekt auf die Arbeitsmotivation hat. Im folgenden Beitrag rückte dann die Schülerschaft in den Mittelpunkt. Prof. Dr. David Lankshear (University of Warwick) stellte eine Befragung unter SchülerInnen unterschiedlicher Schulen der Church of Wales vor. Im Rahmen von gesetzlich vorgeschriebenen Schulinspektionen soll somit die Möglichkeit gegeben werden, dass die Meinungen der SchülerInnen mit bei der Bewertung von Schulqualität berücksichtigt wird. Die Tagung schloss ab mit einem Vortrag von Prof. Dr. Manfred Pirner (Universität Erlangen-Nürnberg) über „Fokusmuster interner Schulevaluation“. Auf Basis der Forschungsdaten aus dem Projekt „Wahrnehmungs- und werteorientierte Schulentwicklung“ (Dr. Klaus Wild) wurde untersucht, ob zwischen staatlichen und protestantischen Schulen Unterschiede in den Erwartungen an, wie auch der Qualität von Schulen auszumachen sind. Nach Einschätzungen wurden die Lehrerschaft an den Schulen gebeten. Insgesamt zeigt sich, dass bei den Erwartungen keine signifikanten Unterschiede zwischen diesen Schultypen zu erkennen sind. Bei der Bewertung, wie der Schulalltag in der Realität erlebt wird, zeigen sich hingegen kleine Unterschiede.
Die Tagung hatte zum Ziel einen Raum der Begegnung wie auch des Diskurses zwischen unterschiedlichen Akteuren im Bereich des protestantischen Schulwesens zu schaffen. Dies wurde von vielen Seiten recht positiv aufgenommen. Der Wunsch nach Wiederholung wie auch nach mehr Raum der freien Begegnung wurde von vielen Teilnehmenden bekräftigt. Für weitere Informationen zu den Vorträgen wie auch zur Tagung insgesamt können Janika Olschewski und Dr. Peter Schreiner kontaktiert werden. Zudem sind auf der Seite des Internationalen Verbandes die meisten Präsentationen der Vorträge zugänglich: http://www.int-v.org/index.php?a=2016111618_Report
[i] Nauck, B. & Lotter, V. (2016): Bildungstransmission in Migrantenfamilien. In: Diehl, C. et al., Ethnische Ungleichheiten im Bildungsverlauf. Mechanismen, Befunde, Debatten. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften (S. 117-155). Siehe S. 120.
Janika Olschewski